»Mein Großzeh steht schon schief, seitdem ich denken kann, aber in den letzten zwei Jahren hat die Fehlstellung kräftig zugenommen. Im Sommer kann ich offene Schuhe tragen, auch wenn es nicht so gut aussieht, und dadurch vermeiden, dass der Ballen rot wird und sich schmerzhaft entzündet. Im Winter trage ich Schuhe, die eine Schuhgröße größer sind, sonst kann ich kaum längere Strecken laufen, ohne den Drang zu verspüren, schnell wieder aus den Schuhen steigen zu wollen. Dazu kommt, dass der Großzeh gegen den zweiten Zeh drückt. Hier hat sich sogar eine Druckstelle gebildet, die auch sehr unangenehm ist. Früher habe ich regelmäßig mehrmals die Woche Tennis gespielt, was heute aufgrund der Beschwerden nicht mehr möglich ist. Ich schwimme seitdem häufiger.
Mein Hausarzt hat mir vor einiger Zeit Einlagen verordnet, die zu tragen ich einige Wochen versucht habe. Allerdings war der Platz in meinen geschlossenen Schuhen schon durch den recht breiten Fuß eingeengt, und auch wenn die Einlage dünn gearbeitet ist, engt sie den Schuh dann doch noch zusätzlich ein. Das Gehen mit der Einlage fühlt sich zwar ganz gut an, aber das eigentliche Problem wurde dadurch nicht behoben. Außerdem hatte ich mir im Sanitätshaus einen Zehenspreizer aus Silikon gekauft. Ich dachte, dadurch könnte ich die Stellung des Großzehs korrigieren und die Druckstelle zwischen den Zehen entlasten. Das gelingt auch, aber wenn ich den Spreizer wieder entferne, ist das alte Problem wieder da. Eine Stellungskorrektur konnte ich trotz regelmäßigen Tragens des Hilfsmittels in offenen Schuhen und in der Nacht leider am Ende nicht feststellen. So erging es mir auch mit der Halluxbandage, die ich ebenfalls probiert hatte.«
Gabi S., 35 J.,
Büroangestellte
Beim Ballenzeh kommt es zu einer Schiefstellung des Großzehs zur Fußmitte hin. Der auch unter Laien inzwischen geläufige Begriff „Hallux valgus“ beschreibt eben diese Abweichung der Stellung des Großzehs zur Längsachse des Fußes. Dabei bedeutet das lateinische Wort „Hallux“ Großzeh und das Wort „valgus“ die Abweichung der Zehenstellung von der Körpermittellinie. (Abb. 1a, vorherige Seite)
An einem Röntgenbild des Fußes im Stehen lassen sich bestimmte Winkel vermessen, die die Fehlstellung des Großzehs beschreiben und den Ausprägungsgrad festlegen. Sie sind hilfreich für die Einschätzung der weiteren Entwicklung der Fehlstellung und dienen der Therapieplanung. Eine Abweichung des Großzehs von der Achse des ersten Mittelfußknochens im Röntgenbild des Fußes im Stehen von mehr als zwanzig Grad (Seite 17) gilt als Hallux valgus. (Abb. 1b und 1c)
Wer erkrankt am Hallux valgus?
Die Erkrankung betrifft überwiegend Frauen im mittleren und höheren Lebensalter, kann aber auch schon bei Kindern und Jugendlichen auftreten. Eine gewisse Neigung für diese Problematik wird in Familien gehäuft beobachtet, wenn auch die Fehlstellung strenggenommen nicht erblich ist. Unabhängig von genetischen Faktoren kann der Ballenzeh aber auch erworben werden. Häufige Fehlbelastung in zu engen Schuhen oder in Pumps kann den Fuß derart überlasten, dass eine bleibende Fehlstellung resultiert (Abb. 2a und b). Menschen mit sehr weichen Bändern, die deshalb auch hypermobil genannt werden, da sie ihre Gelenke besser bewegen können als andere, neigen ebenfalls zum Ballenzeh.
Bei der Entstehung der Fehlstellung des Großzehs spielt die Fußform eine entscheidende Rolle, denn wer an Hallux valgus leidet, weist meistens auch ein abgeflachtes Längsgewölbe des Fußes auf und hat einen relativ breiten Vorfuß. Dieser „Senk-Spreiz-Fuß“ oder auch „Plattfuß“ ist bei Kindern überwiegend harmlos und bildet sich bereits im Kleinkindalter zurück. Bei Erwachsenen begünstigt er jedoch durch das Breiterwerden des Vorfußes und die daraus resultierende Veränderung der Zugrichtung der Sehnen die Entstehung von Zehenfehlstellungen (Abb. 3a und b). Unser Bandapparat ist, wie alle unsere Gewebe im Körper, einem stetigen Wasserverlust unterworfen. Dieser unschöne Umstand, den wir der allgemeinen Alterung zuschreiben müssen, führt dazu, dass unser Bandapparat im Laufe des Lebens an Spannkraft verliert. Wir kennen diesen Prozess auch von den Falten der alternden Haut. Bezogen auf unsere Füße führt die Alterung dazu, dass das Bindegewebe der statischen Belastung immer weniger standhält. Dies ist der Nährboden für die Entwicklung von Zehenfehlstellungen.
3a) Stark vereinfachte Skizze eines regelrecht geformten
Vorfußes. Grün symbolisiert den Sehnenzug der Beuge- und Strecksehnen, rot zeigt die auf den Großzeh seitlich einwirkende Kraft, die die Ballenbildung verstärkt und gelb markiert die Sesambeine – kleine Knochen, die in den kurzen Beugesehnen liegen.3b) Bei einem Spreizfuß weichen die Mittelfußknochen auseinan der und der Fuß wird breiter. Dadurch ziehen die Sehnen nicht mehr annähernd entlang der Längsachse des ersten Mittelfußknochens und die zur Seite auf den Großzeh einwirkende Kraft wird deutlich stärker (roter Pfeil). Die Sesambeine sind nicht mehr unter dem Köpfchen des ersten Mittelfußknochens. Sie sind „dezentriert“.
Wie stark sich eine Hallux valgus-Fehlstellung ausbildet, ist individuell sehr unterschiedlich. Häufig werde ich gefragt, ob ich glaube, dass die bestehende Schiefstellung des Großzehs weiter fortschreiten werde, oder sogar, wie schnell sie fortschreiten werde. Eine individuelle Prognose dazu ist aber leider meistens nicht möglich. Liegen jedoch neben der Zehenfehlstellung bereits ein ausgeprägter Spreizfuß und womöglich zudem eine krankhafte übermäßige Bandlockerheit vor, ist ein recht rasches Fortschreiten der Fehlstellung aber wahrscheinlich. Ein spontaner Rückgang oder gar eine Rückbildung der Fehlstellung sind allerdings ganz klar ausgeschlossen, so viel kann man sicher sagen.
Macht der Ballenzeh eigentlich zwangsläufig Beschwerden?
Nein. Man staunt so manches Mal zu sehen, dass ein mild ausgebildeter Ballenzeh zu massiven Reizungen der Haut und zu starken Schmerzen am Ballen führt, während ein anderer Patient mit massiv ausgeprägtem Hallux valgus kaum Beschwerden beklagt und womöglich wegen einer ganz anderen Problematik in die Sprechstunde kommt. Für die Entscheidung zu einer operativen Korrektur ist daher nicht das Aussehen, sondern lediglich der Leidensdruck wegweisend. Nicht selten beklagen Patienten mit einem Ballenzeh auch Schmerzen oder gar Schwielen unter dem Vorfuß. Der Grund dafür ist die Überlastung des Mittelfußes, insbesondere der unter den Köpfchen der Mittelfußknochen 2 und 3 liegenden Schleimbeutel und Hautareale, die durch die fortwährende Fehlbelastung zu stark beansprucht werden, denn der Großzeh nimmt infolge seiner Fehlstellung nicht mehr ordnungsgemäß am Abrollvorgang teil und übernimmt bei jedem einzelnen Schritt zu wenig Last, die dann auf die weiter außen liegenden Knochen und Gelenke verteilt werden muss. So kommt es durch die relativ hohen Belastungen zu schmerzenden Schwielen der Haut. Gerne entwickeln sich an Füßen mit Ballenzehen auch Fehlstellungen der anderen Zehen, wie z. B. Hammerzehen. Die Schwielen bilden sich übrigens regelmäßig nach einer Korrektur der Großzehenfehlstellung zurück. Dies ist ein Zeichen für die wieder regelrechte Belastung des Vorfußes.
Wie wird der schmerzhafte Ballenzeh behandelt?
Die Behandlung des Ballenzehs richtet sich sehr stark nach dem individuellen Leidensdruck des Betroffenen und nach dem Ausmaß der Fehlstellung. An erster Stelle steht die Empfehlung, ausreichend weites Schuhwerk zu tragen und längeres Tragen von engen oder hochhackigen Schuhen zu meiden. Wenn der Ballen dann keine Beschwerden mehr verursacht, ist eine weitere Therapie nicht notwendig. Das Tragen von orthopädischen Maßeinlagen kann bei Kindern helfen, die Ausbildung einer Fußfehlstellung zu verhindern oder zumindest zu reduzieren. Das Prinzip hierbei ist meistens, dass eine Pelotte, ein stützendes Polster, unter dem Vorfuß, eine Unterstützung unter dem inneren Fußrand oder auch eine Umfassung des Rückfußes den Fuß unter Belastung in der korrigierten Form halten, wodurch vermieden wird, dass der Fuß „plattgetreten“ wird. Der wissenschaftliche Beweis dafür, dass Einlagen die Form des Fußes nachhaltig verändern können, steht allerdings noch aus. Klar ist jedoch, dass eine Einlage gerade auch beim Erwachsenen Schmerzen am Fuß lindern kann. Daher ist der Einsatz von Maßeinlagen auch beim Ballenzeh gerechtfertigt. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass das Schuhwerk ausreichend Platz bieten sollte, um die Einlage und den verbreiterten und fehlgestellten Fuß bequem aufzunehmen. Sneaker sind hierzu grundsätzlich besser geeignet als Slipper oder Ballerinas. Loafer können ebenfalls mit einer dünnen Einlage versorgt werden.
Physiotherapeutische Maßnahmen wie Krankengymnastik, manuelle Therapie, Fußreflexzonenmassage etc. können zur Lösung von Verspannungen der Fußmuskulatur oder Gelenkblockaden beitragen. Hallux valgus-Schienen und Zehenspreizer, die zwischen den ersten und zweiten Zeh gesteckt werden, um passiv eine Korrektur der Fehlstellung herbeizuführen, dienen ebenfalls lediglich dem Zweck der zeitweisen Schmerzlinderung (Abb. 4a und b).
4a) Hallux-valgus-Schiene 4b) Zehenspreizer aus Schaumstoff
Wann sollte ein Hallux valgus operiert werden?
Alle oben beschriebenen Maßnahmen vermögen aber nicht, die Schiefstellung des Großzehs dauerhaft und nachhaltig zu korrigieren. Macht der Fuß also immer wieder Beschwerden und hält er den Betroffenen davon ab, die gewünschte Sportart, Freizeitbeschäftigung oder gar Beschäftigungen des Alltags zu verrichten, ist die Indikation zu einem operativen Korrektureingriff am Ballenzeh gegeben. Dabei ist erst einmal nicht die Schwere der Fehlstellung entscheidend; manchmal ist nur eine geringe Fehlstellung des Zehs vorhanden, aber trotzdem kommt es zu quälenden Schmerzen am Ballen. Andersherum sind gelegentlich trotz hochgradiger Schiefstellung des Großzehs nur geringe oder gar keine Beschwerden zu beklagen.
Es gibt über hundert gebräuchliche Operationsverfahren zur Korrektur des Hallux valgus. Neue Verfahren werden auch heute noch entwickelt. Welches Verfahren zum Einsatz kommt, hängt von der Art und Schwere der Fehlstellung, aber auch von den Vorlieben des Operateurs ab. Dabei haben sich in den letzten Jahren zunehmend wissenschaftliche Kriterien durchgesetzt, nach denen Korrekturoperationen erfolgen sollten. Unterschiedliche Operateure können aber trotzdem das gleiche Ziel über unterschiedliche Operationsverfahren erreichen. Das ist vielleicht für den Betroffenen zuerst etwas irritierend, entscheidend sind aber am Ende die erfolgreiche Korrektur der Fehlstellung und die Schmerzbefreiung.